Kulturelle Aneignung und Yoga

Kulturelle Aneignung ist kein leichtes Thema, mit dem man sich gerne auseinander setzt. Sicher bringt es viel Schmerz nach oben, wenn wir Aspekte unseres Lebens wie unsere geliebte spirituelle Praxis hinterfragen. Aber es ist unsere Pflicht, unsere Privilegien für einen positiven Zweck einzusetzen. Unser anfänglicher Schmerz ist notwendig, damit der Schmerz und die Ungerechtigkeit gegenüber Millionen Stück für Stück abgebaut wird. Es ist Zeit die eigenen Verhaltensweisen zu hinterfragen. Haben wir das Recht, uns einer anderen Kultur zu bedienen? Und wie geht kultursensibles Yoga? Dem geht unsere Autorin Kerstin nach.

Ist Yoga kulturelle Aneignung? Eine kanadische Universität beantwortete diese Frage mit „Ja.“ Und strich daraufhin sämtliche Yogakurse. Aber kann man dieses Thema so schnell beantworten? Beginnen wir doch ganz von vorne. Bei der Geschichte von Yoga und seinem Weg in den Westen.

Die Geschichte von Yoga

Denn Yoga selbst ist ein kulturelles Potpourri. Die frühste Form von Yoga stammt aus dem antiken Ägypten [1]. In Indien wurde sie durch Tantra und Buddhismus weiterentwickelt [2]. Während Patanjali vor ungefähr 4000 Jahren war Yoga reine Meditation. Die Verbindung zum Göttlichen. Zur Philosophie kamen später die körperlichen Übungen. Sie bereiteten den Körper auf die Meditation im Lotussitz vor [2]. Gut gedehnt und ausgelastet geht das besser. Durch körperliche Übungen schaltet unser Geist leichter ab und gibt sich der Meditation hin.

Zuerst war Yoga eine brahmanische Praxis. Das heißt: Nur die Gelehrten der obersten Kaste praktizierten es. Der Guru durfte die Lehre nur an einen ausgewählten Schüler weitergeben [2]. Die Kolonialleute fühlten sich von der Macht der Brahmanen bedroht. Deshalb wurde Yoga als hinduistische Tradition verboten. Die Inder*innen sollten Christ*innen werden. Die Kolonialherren schätzten die indigene Kultur gering. Sie galt damals als „barbarisch“, „primitiv“ und „unzivilisiert“. Die westliche „Zivilisation“ sei überlegen. Das legitimierte das rassistische Vorgehen und die Verbreitung des Christentums, sowie der Regeln und Normen.

Was ist kulturelle Aneignung?

Das führte zu einer Vernichtung alles Indigenen [2[ und gleichzeitig zur kulturellen Aneignung. Die Kolonialherren benutzten Aspekte der indigenen Kultur, um sich selbst „exotisch“ und interessant zu fühlen. Aber nicht aus Wertschätzung der Kultur, sondern als Ausdruck ihrer Macht über die Unterdrückten [2[. Das Problem kultureller Aneignung ist, dass es nicht wirklich dazu führt, dass indigene Traditionen in der weißen Gesellschaft etabliert werden.

Ein Beispiel: Eine indische Person, die aus der Traditionslinie ihrer Familie Yoga praktiziert, wird als rückständig und altertümlich gesehen. Übt eine weiße Person hingegen mit schicker Sportkleidung, gilt sie als modern und exotisch.

Kulturelle Aneignung ist gewaltvoll

Zudem reißt kulturelle Aneignung eine kulturelle Praxis aus dem Zusammenhang. Eine so vereinfachte Form verbreitete sich weiter. Ähnlich wie beim „Stille Post“ Spiel geht dabei der Kontext verloren und die Bedeutung wird verändert. So bleibt zum Beispiel aus der komplexen Yogaphilosophie nur das Wort „Namasté“, ohne die genaue Bedeutung, im Gedächtnis. Ein winziger Teil der indischen Kultur wird aus dem Kontext gerissen. Genau diese Art von Vereinfachung führt leicht zu Vorurteilen. Das „Namasté“ repräsentiert nämlich nicht umgekehrt alles Indische!

Diese scheinbar harmlosen Bilder können sich hartnäckig festsetzen und diskriminierend werden. Jede Person, die von der Norm abweicht, gilt als „anders“ und damit nicht mehr als Individuum, sondern nur als Repräsentation der Gruppe. Diese Vorurteile dienen als Rechtfertigungen für den systemischen Ausschluss aus Bereichen wie Bildung und Arbeit. Oder wie unter anderem der Fall George Floyd zeigt, zum Tod.

Der Weg in den Westen

Im 19. Jahrhundert beschlossen Gurus wie Yogananda Yoga in den Westen zu bringen [2[. Dafür hatten sie in Meditationen die Aufforderungen empfangen. Demnach sollte sich die Lehre von der Einheit mit dem Göttlichen auf die ganze Welt ausbreiten. Die Briten fanden Spaß an den Asanas. Yoga war schon immer vielfältig. Und unterliegt wie alles stetem Wandel. Ist das jedoch eine Rechtfertigung für die Veränderung von Yoga im Westen?

Denn mit der Zeit hat es sich verselbstständigt. Um es im Westen auch trotz anderer Religion praktizieren zu können, gerieten die genauen Bedeutungen von Sanskrit und der Philosophie in den Hintergrund. Teile der Yogaphilosophie, die mit uns übereinstimmen, picken wir wie beim All-you-can-eat-Buffet aus. So wurde Yoga im Westen immer mehr zum Sport. Wir leben heute nicht nur zu anderen Zeiten, sondern auch in einer ganz anderen Gesellschaft. Dennoch praktizieren wir eine Form von Yoga. Ist Yoga kulturelle Aneignung? Es kommt auf die Details dahinter an.

Kulturbewusstes Yoga: aber wie?

  • Nur weil es dir guttut, heißt das nicht, dass es dir gehört. (Susanna Barkataki) Ich habe durch meine Kultur nur ein Teilwissen über Yoga und Sanskrit. Aber ich kann die Stimmen von südasiatischen Expert*innen teilen und verstärken [2]. Und Zeit in das Lernen der Geschichte von Yoga investieren [ebd.]. Das heißt nicht, dass es mir gehört oder dass ich sagen kann, was „echt“ ist.
  • Yoga mit dem spirituellen Kontext und nicht als Workout üben [ebd.]. Yoga ist nur Sport? Das ist eine Verienfachung. Yoga beinhaltet so viel mehr. Meditation, Pranayama, Kriyas und moralische Richtlinien. Dazu gehört Ahimsa. Sinngemäß übersetzt: Gewaltlosigkeit. Als Yogi*nis müssen wir kulturell sensibel sein und uns mit allen Teilen von Yoga auseinandersetzen. Die Ethik umsetzen heißt auch die eigenen Yogaangebote allen Menschen gleichermaßen ermöglichen. [ebd.]
  • Wir brauchen eine demütige Haltung gegenüber der yogischen Traditionslinie. Dafür sind ganz besonders Yogalehrernde bei der Yogalehrerausbildung verantwortlich. Aber eigentlich jede/r einzeln*e Yogi*ni. Es braucht einen Dialog zwischen den Kulturen [2]. Kulturelle Wertschätzung anstatt Aneignung!

Die Verantwortung liegt bei jeder einzelnen Person

Was wünsche ich mir für die Yogawelt? Spirituellen Aktivismus. Keine Angst vor unangenehmen Themen. Einerseits ein mutiges Auseinandersetzen mit den eigenen Schattenanteilen, die unsere negativen Verhaltensweisen prägen. Andererseits auch einen ehrlichen Blick auf das Weltgeschehen. Wie beispielsweise auf kulturelle Aneignung. Wir müssen auch unsere neuen Traditionen hinterfragen. Ich persönlich entscheide mich für eine kritische Sichtweise. Wir werden weiter Yoga praktizieren. Aber nicht so unbewusst wie vorher. Dabei spielt auch insbesondere die Yogalehrer*innen-Ausbildung eine entscheidende Rolle. Erzähl uns gerne in den Kommentaren: Hast du was über kulturelle Aneignung im Yoga-Teacher-Training gelernt?

Zum Nachdenken über Yoga und kulturelle Aneignung


Quellen

[1] Kemetic Yoga – Made in Germany Podcast.

[2] Ursprung und Entwicklung des Yoga – Yoga Vidya.

Foto von cottonbro von Pexels

Ein Kommentar zu „Kulturelle Aneignung und Yoga

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