Privilegien und Intersektionalität

Immer wieder ist in politischen Auseinandersetzungen davon die Rede, dass man für eine wirksame politische Praxis zuerst seine Privilegien checken soll. Aber was sind Privilegien überhaupt und wie kann ich die checken? Und was hat das Ganze mit Intersektionalität zu tun? Wir gehen gemeinsam Schritt für Schritt zur Selbsterkenntnis!

Privileg ist ein Begriff aus dem Mittelalter. (Da gehören Privilegien meiner Meinung nach auch hin…). Privilegien waren Sonderrechte einer bestimmten Gruppe. Inzwischen wird das Wort auch für Eigenschaften verwendet, die dem normierten Bild entsprechen. Heterosexuell, weiß, Mittelklasse. Diese Personen halten sich selbst oft für die Norm und sehen ihre eigenen Vorteile nicht, die sie gegenüber Diskriminierten haben. Wir tragen sie mit uns herum wie einen unsichtbaren Rucksack (siehe Peggy McIntosh). Sie sind sich der Tatsache nicht bewusst, dass dafür, dass sie sich „normal“, sicher und im Recht fühlen, anderen Menschen dieselben Rechte aberkannt werden.

Schuld daran ist systemische Gewalt, die Menschen ausschließt und ihnen keine Privilegien zugesteht. Aber nach welchem System kann man die Diskriminierungen analysieren und aufschlüsseln? Dafür wird in den Sozialwissenschaften der Begriff der „Intersektionalität“ gewählt.

Auf welcher Kreuzung befindest DU dich?

Der Begriff „Intersektionalität“ geht auf die Juristin Kimberlé Crenshaw zurück. Abgeleitet ist er vom Englischen „Intersection“ für Straßenkreuzung. Er bezeichnet, dass es verschiedene Skalen mit den beiden Extremen „sehr diskriminiert“ und „sehr privilegiert“ gibt. Jede Person kann sich beispielsweise fragen, ob sie in Bezug auf Rassismus diskriminiert oder privilegiert wird. Aber Rassismus ist nicht der einzige Parameter. Dazu kommen noch Sexismus, Queerfeindlichkeit, Klassismus, Ableismus, Lookismus und viele andere Diskriminierungsformen.

Diese stehen jedoch nicht einfach nur nebeneinander. Sondern sie beeinflussen sich gegenseitig. Beispielsweise kann man nicht auseinander dividieren, ob bei einer Beleidigung durch den Stereotyp der „Angry Black Woman“ Rassismus oder Sexismus überwiegen. Deshalb geht Crenshaw davon aus, dass diese verschiedenen Achsen sich wie in einem vieldimensionalen Koordinatensystem überschneiden. Wenn du dich selbst verorten willst, dann nimm dir gerne Zettel und Stift für die folgenden Fragen.

Privilegien-Check mit 10 Fragen

  1. Kannst du angstfrei deine*n Partner*innen auf der Straße küssen?
  2. Kannst du immer, egal in welcher Situation du bist, auf die finanzielle, emotionale oder soziale (Stichwort: Vitamin B) Hilfe deines Umfeldes zählen?
  3. Siehst du in den Medien Menschen, die ähnlich wie du aussehen und eine ähnliche Lebensgeschichte zu deiner, die positiv repräsentiert werden?
  4. Kannst du mit deinem Pass ohne Gedanken in die meisten Länder dieser Welt einreisen?
  5. Wurdest du noch nie gefragt, „wo du eigentlich WIRKLICH herkommst“?
  6. Wenn du über deine eigene sexuelle oder Geschlechts-Identität redest, kannst du dir sicher sein, nicht zu hören, dass es sich nur um „eine Phase“ handelt?
  7. Hast du so viel Freizeit, dass du dich mit persönlicher Weiterentwicklung beschäftigen kannst?
  8. Kannst du nach einem Bewerbungsgespräch ausschließen, dass die Absage wegen deines Aussehens war?
  9. Hattest du die freie Entscheidung, ob du studieren willst oder nicht?
  10. Kannst du mit Verständnis rechnen, wenn du sagst, dass du keine Kinder willst?

Man könnte diese Liste noch unendlich weiter führen…

Reflektiere im Anschluss! Welche Personen hätten die Fragen anders beantwortet als du? Wenn das Leben ein Wettlauf wäre, bei dem alle an derselben Linie starten, aber jedes Mal, wenn sie eine Frage mit „ja“ beantworten einen Schritt näher ans „Ziel“ gehen würden… Wer würde dann wo stehen? Was sich wie ein absurdes Gedankenexperiment anhört, ist durch die Diskriminierungen allerdings leider traurige Realität. Um Privilegien zu überwinden, müssen wir sie abgeben. Das heißt, aktiv Diskriminierten die Bühne überlassen und sie als Privilegierte verlassen. Nicht weiter von einem unterdrückerischen System zu profitieren.

Den Schmerz in wirksame Wut verwandeln

Aus einer privilegierten Sichtweise ist all der Schmerz durch das Augenöffnen, das du bei diesen 10 Fragen vielleicht gespürt hast, nicht zu vergleichen mit dem Schmerz von Betroffenen. Denn es ist und bleibt ein Privileg, sich nicht mit Politik, Polizeigewalt, oder anderer struktureller Gewalt auseinander zu setzen zu müssen. Danke, dass du einen ersten Schritt auf dem Weg dazu gehst, dich selbst zu hinterfragen. Verweile jedoch nicht in diesem Schmerz, sondern geh auf eine Demo. Geh wählen! Trete auf deine Art und Weise in Aktion, um die Welt zu einem Ort voller Gewaltlosigkeit zu machen. Und wenn du Aktion ergreifst, dann starte gerne deine Rede mit einer kritischen Selbstverortung: z.B. „Wir schreiben hier aus der folgenden Perspektive: wir sind (bisher) weiß-deutsch-privilegierte und ableisierte Frauen.“ (Siehe unser Manifest.)

2 Kommentare zu „Privilegien und Intersektionalität

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